Männer am Rande


Es sollte doch „nur“ ein Konzert werden. Das erste der Hamburger Band The Jeremy Days nach 24 Jahren. Doch um so näher der 18. Januar 2019 und um so voller das Docks in Hamburg am Freitagabend, um so deutlicher wird – das könnte ein ganz besonderer Abend werden. Wurde es!

Der Applaus, den die Band beim Betreten der Bühne um Punkt 20 Uhr bekommt, ist großartig, aber fast noch verhalten im Vergleich zu der Stimmung, die noch folgen sollte. Es ist an der Zeit für eine Reunion der Band, passend startet die Band mit „It is the time“, bevor Frontman Dirk Darmstaedter versucht, in Worte zu fassen, was der heutige Abend bedeutet und ihm recht schnell die Stimme versagt.

Den anderen Bandmitgliedern geht es in den folgenden zwei Stunden nicht anders. Immer wieder fallen sie sich gegenseitig in die Arme, immer wieder müssen sie einen Kloß runterschlucken und eine Träne verdrücken. Den Fans, die nahezu jede Textzeile mitsingen, geht es kaum anders. Kein Wunder, schließlich spielt die Band nicht nur ihre besten Songs, nein, sie feiern ihre Songs: Es werden nicht einfach nur die Studioversionen präsentiert, sondern mehrfach auch imposante Interpretationen wie zum Beispiel von Sylvia Suddenly. Da hat sich die Band in der einwöchigen Vorbereitung richtig reingehängt.

Aber noch eines wird deutlich und das muss man The Jeremy Days vorwerfen: Sie sind nicht nur eine hervorragende Band, die immer noch vortrefflich zusammen spielt. Viel schlimmer ist: Sie habe Songs geschrieben, die auch nach 25 Jahren noch zeitgemäß klingen und einfach grandios sind. Und genau da liegt das Problem: Es ist schon fast eine Unverschämtheit diese Songs ein Vierteljahrhundert in der Schublade zu lassen. Die Songs gehören auf die Bühne und verdienen nicht nur das „alte“ Publikum, sondern auch den einen oder anderen „neuen“ Zuhörer.

Ich kann man mich an überhaupt kein Konzert irgendeiner Band erinnern, bei dem es keinen „Song-Ausfall“ gab. Immer denke ich bei einem Konzert: „Gut, dieser Song hätte jetzt nicht sein müssen.“ oder „Dem könnten sie auch mal eine Pause gönnen.“. Das ist bei den Jeremy Days anders: Jeder Song für sich ist ein kleines Kunstwerk und ich möchte nicht einen Song missen und würde mir das gleiche Konzert gerne nochmal mit der exakt gleichen Setlist anhören. Und ich bin so geflasht von der Stimmung, der musikalischen Qualität und den Emotionen, dass ich mich nach der zweiten Zugabe frage: „Ok, sie können ja nochmal zurück auf die Bühne kommen, aber was sollen sie jetzt noch spielen?“ Und dann folgen die ersten Klänge von „Room to revolution“ – vielleicht dem besten Song der Band. Hatte ich doch fast vergessen und dabei hatte ich mir den so gewünscht, wurde er doch früher eher selten gespielt.

Nun kann ich selig nach Hause gehen, denke ich, als die Band tatsächlich noch für eine vierte und letzte Zugabe zurück kommt. Und was fehlt noch? „Lovesong 101“ – mein persönlicher Lieblingssong der 90er, der wirklich auf keinem Tape (oder war es damals schon Mini-Disk?) fehlen durfte.

Früh im Jahr war es der Konzerthöhepunkt des Jahres. Es ist wie ein richtiges gutes Buch, das es mir schwer macht anschließend ein anderes zu lesen. So dürfte es auch mit dem Konzert sein. Als ich eine Woche später Gisbert zu Knyphausen in Oldenburg sehe, muss ich unweigerlich vergleichen und stelle fest: Hier fehlt alles, was mich eine Woche zuvor noch begeistert hat: Emotionen, Stimmung und eine spielfreudige Band.

Grandios.

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